Spiritualität kennt keine Horizonte

Teil 4 der Reihe »Denn jedem Lebewesen wohnt eine Seele inne«

Im vorhergehenden Beitrag wurden der Fleischverzehr und seine Auswirkung auf unterschiedlichen Ebenen hinterfragt. Eine Ebene davon, die körperliche, könnte losgelöst von den Verknüpfungen zu anderen Aspekten betrachtet werden. Aber nur auf den ersten Blick oder unter einer freiwilligen Begrenzung der Sicht auf das Leben. Denn wir kommen nicht umhin, die Einbindung allen Lebens in ein großes Ganzes zu beachten.

Wer Spiritualität leben will, wer sein Bewusstsein weiter entwickeln will, der muss diese Einbindung in das große Ganze akzeptieren und sich dessen immer bewusst sein. Nicht nur der Mensch, sondern auch andere Mitgeschöpfe – und darüber hinaus! – sind ein Holon, also das abgeschlossene Ganze, welches immer in ein größeres Ganzes eingebunden ist (s. auch Beitrag „Spiritualität und Bewusstsein: Grenzen setzen“). Jedes Holon kann nicht ohne die Einbettung existieren und jedes Holon übt einen komplexen Einfluss in der Holonhierarchie aus.

Spiritualität ist keine Selbstbegrenzung

Wenn wir die Beseeltheit der Lebewesen betrachten wollen, müssen wir jedes Lebewesen als ein Holon betrachten und dürfen uns ebenfalls nicht nur auf eine Ebene beschränken, z. B. auf die körperliche. Würden wir das tun, wäre das eine Selbstbegrenzung, die nicht nur für unsere spirituelle Entwicklung hinderlich wäre.

Und dennoch ist die Selbstbegrenzung ein recht verbreitetes Phänomen. Wir finden es beispielsweise als Begrenzung der psychischen Störungen und Krankheiten auf Vorgänge nur im menschlichen Gehirn. Ebenso wenn wir der Phytotherapie oder der Homöopathie ihre Wirkungen absprechen, da sie nicht messbar seien.

Eine Selbstbegrenzung auf das Messbare und rational Erklärbare beraubt uns der Möglichkeit, über den gegenwärtigen Horizont hinauszuschauen. Sie nimmt uns die Freude über die vielen Wunder des Lebens weg. Sie macht uns zu mechanischen Objekten, wie sie vor Jahrhunderten postuliert wurden, als wir Menschen in einem kleinen Anflug von Überheblichkeit meinten, wir würden die Welt und die Lebewesen als Mechanismen erklären können.

Leider ist die Selbstbegrenzung immer noch zu finden. Manchmal wird sie sogar gefordert. Denn das Zulassen dessen, was als spirituell oder als esoterisch betrachtet wird, gilt in manchen Kreisen als ein Ausdruck eines Aberglaubens oder einer fehlenden Bildung.

Müssen wir diese Haltung bewerten, beurteilen oder verurteilen? Wozu? Üben wir uns lieber in einem Verständnis für die anderen Seelen. Denn wir wissen – auch wenn wir es nicht rational beweisen können –, dass jede Seele ihren eigenen Entwicklungsweg geht und letztendlich jede Seele den Weg zu ihrer Heimat meistern wird. Wohl jeder körperliche Träger einer Seele geht dabei Umwege, die zu seinem Lernen gehören.

Es ist daher höchstens schade, wenn Menschen, die das rein beweisbar-messbare Weltbild verfechten, sich dem Dialog mit Andersdenkenden entziehen. Es ist nicht unsere Pflicht, diese Menschen zu bekehren. Wir können unsere eigenen Überzeugungen vorleben. Dies führt ohnehin eher zu Veränderungen, als jeder missionarische Eifer.

Spiritualität, Toleranz und erweiterte Horizonte

Es ist aber unsere Pflicht, dieser Welt gegenüber tolerant zu sein. Darüber hinaus sollten wir uns nicht den Erkenntnissen dieser Welt verschließen, denn wenn wir diese Erkenntnisse in unser spirituelles, also nicht-begrenztes Weltbild miteinbeziehen, erweitern wir unsere Horizonte. Es wäre wieder mal schade, diesmal aber für uns, wenn wir uns aus ideologischen Gründen dieser Entwicklungsmöglichkeit berauben würden.

Es reicht zu wissen, dass „wissenschaftlich belegt“ einer Polarität unterliegt, wie alles in unserer Welt. Es hat also eine Seite, die wir als gut bezeichnen können, ebenso die andere Seite. Wir erlauben uns somit, daran zu glauben und das zu leben, was noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen worden ist. Wir wissen, dass manches davon früher oder später nachgewiesen werden wird. Warum aber auf solche Beweise warten? Wir wissen aber ebenso, dass manches nicht nachgewiesen werden kann. Transzendenz, um mal die Philosophie zu bemühen, entzieht sich jeglichen Beweisen.

Spiritualität und die Bibel

Solchermaßen vorbereitet könnten wir uns nun endlich der Frage nach der Seele der Tiere zuwenden, ebenso den Konsequenzen, die für uns Menschen daraus entstehen. Am Beginn sollte ein kurzer Blick zurück auf die Geschichte der Idee von der Beseeltheit der Tiere stehen. Europäisch gedacht muss somit die Bibel berücksichtigt werden. Doch das stellt uns vor ein weiteres Problem hin, denn es gibt nicht nur eine christliche Bibel.

Damit sind nicht nur die katholischen und evangelischen Varianten mit ihren eigenen Versionen über die Jahrhunderte hinweg gemeint. Weitaus schwerwiegendere Probleme stellen die Überarbeitungen der Bibel dar, bei denen die Machterhaltung und der Patriarchalismus Pate standen. Mögen manche offiziellen Religionsvertreter noch so nachdrücklich auf eine Ausschließlichkeit und Alleingültigkeit bis zur Unfehlbarkeit ihrer Lehren hin pochen. Menschen sind sie dennoch und ein Menschenwerk sind die gegenwärtigen Bibelvarianten ebenso.

So wurden beispielsweise in den ersten Jahrhunderten des Christentums Reinkarnationshinweise in der Bibel überarbeitet. Sehr bezeichnend ist, dass dies auf Bestreben von außerkirchlichen Institutionen hin geschah. Mit einer Angst vor einem strafenden Gott ließen sich die Menschen eher führen und leiten und zu diversen dem ewigen Leben im Himmel vorgeblich dienlichen Abgaben bewegen. Wenn wir uns heute mit religiösen Büchern beschäftigen, müssen wir immer beachten, dass wir nicht die ursprünglichen Texte betrachten.

Es gibt Menschen, die sich mit der Forschung nach den früheren Texten beschäftigen. Das Vaterunser bekommt dann eine etwas andere Bedeutung. Die Reinkarnation wird nachvollziehbar und mit einem liebenden Gott vereinbar. Der strafende Gott wird zum Gott der Liebe. Kann denn eine ewige Verdammnis wirklich Gemeinsames mit der Liebe haben?!

Schwarz auf weiß

„Denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen“, schrieb Goethe in seinem „Faust“. Um was damit anzustellen? Sicherlich nicht, um dem blind zu vertrauen und es ebenso weiter zu verwenden. Es muss nicht eine ewig-gültige Wahrheit darstellen, nur weil es in einem anerkannten Buch zu finden ist.

Nur die eigene Auseinandersetzung damit kann einen echten Gewinn und eine echte Weiterentwicklung bedeuten. Manchmal, weil wir eine Aussage als zutreffend finden. Manchmal aber, weil wir ihr widersprechen, weil wir ihre wahre Absicht erkennen. Auch wenn es solch ein Werk wie die Bibel oder ein anderes Glaubensbuch ist.

Sogar bei geltenden Gesetzestexten muss es dem Menschen erlaubt sein, nachzudenken, zu hinterfragen oder in manchen Fällen Widerspruch einlegen zu dürfen. In modernen Staaten, besonders in den demokratischen, ist dies möglich.

Tiere und Sachen

Zurück zum Tier. In den religiösen Texten findet viele Hinweise auf die Beseeltheit der Tiere, wer danach suchen will. Es gibt Heilige, die dies nicht nur behaupteten, sondern vorlebten.

In den geltenden Gesetzestexten findet viel Wohlklingendes, wer danach sucht. Seit einigen Jahrzehnten bereits wird der Unterschied zwischen Tieren und Sachen festgehalten: »Tiere sind keine Sachen. Sie werden durch die besonderen Gesetze geschützt«, kann seit 1990 im BGB nachgelesen werden. Vergleichbares findet sich in der Rechtsprechung anderer Länder.

Und die Realität? Das Leben? Die Rechtspraxis? Oder die weiteren Erläuterungen zum oberen BGB-Auszug?

Alle in diesem Beitrag erwähnten Aspekte sollten wir beachten, wenn wir uns der Beseeltheit der Natur und der Frage nach der Seele in unseren Mitgeschöpfen zuwenden.

Das öffnet die Wege zur Toleranz den unterschiedlichen Ideen oder Glaubensrichtungen gegenüber. Das gibt dem Begriffspaar »Mitgeschöpf Tier« eine greifbare, nachvollziehbare Substanz. Das lässt den Menschen mit der Natur so leben, dass dies mit dem Gewissen, der Seele, der Spiritualität vereinbar ist.

Das lässt erkennen, dass der Mensch eine Seele sein kann, die weiterentwickelt ist als die eines Tieres. Wer das so sieht, geht damit eine Verpflichtung ein. Er ist die Verantwortung der gesamten Natur gegenüber, nicht nur dem Tier.

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