Der Mensch, die Welt und die Ordnung

Inspiriert durch das 373. Bild der Woche.

»Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung«. Ich gebe zu, ich schaute mir den Film noch nie an, dafür kommt mir der Titel im Alltag immer wieder in den Sinn. Es ist ein Titel, der einige Fragen aufwirft, von denen die meisten belanglos sind. Warum um sieben, warum morgens beispielsweise.

Es gibt jedoch zwei Fragen, die zu den wiederkehrenden Assoziationen im Alltag führen. Es handelt sich um die Begriffe »noch« und »in Ordnung«.

Notabene. Auch wenn ich den Film nicht kenne, die Titelmusik mag ich heute noch. Nicht nur morgens um sieben. Er ist bekannt; wer’s nicht glaubt, mag mal YouTube besuchen.

»Noch« und Vertrautheit

Das »noch« impliziert, dass die Ordnung nur von kurzer Dauer ist, dass der Ordnung Unordnung, Probleme, Chaos folgen. Es ist eine selbsterfüllende Prophezeiung oder die Liebe zu dem vertrauten Elend.

Das vertraute Elend. Meinetwegen kann die Welt morgens um sieben in Ordnung sein. Die ändert sich aber, die wird wieder so, wie sie immer war, das kenne ich schon. Wieder die Probleme, die schlechten Nachrichten, der Ärger in der Beziehung, mit der Arbeit und mit allen anderen eigentlich. Am Abend muss ich noch das blöde Rollo reparieren, vielleicht wieder so eine überteuerte Steuerung kaufen. Wie jeder Tag eben.

Was jeder Tag immer wieder mit sich bringt, ist vertraut. Da kennt man sich aus, da gibt es keine Überraschungen, da muss man sich keiner trügerischen Hoffnung hingeben.

Vertrautes Elend hat mir mal jemand gesagt. Der hat gut reden, der Dummschwätzer, mit seiner Frau und dem guten Job. Als ob jemand das Elend vertraut finden könnte. Ich wäre lieber woanders, hätte lieber mehr Geld. Und einen Partner, der mich wirklich mag.

Dazu muss man sich jedoch bewusst entscheiden. Es muss nicht das Maximum der Wünsche sein, man kann bescheidener beginnen. Sogar die ruchlosen Römer haben ihr Rom nicht an einem Tag erbaut. Ja, ich tue mir schwer mit ihrer Liebe zu Kriegen. Bellum, bellum; nein ballaballa fände ich öfter mal passend.

Wen die Götter bestrafen wollen, dessen Gebete erhören sie. Ahnt das ein solcher Mensch, verbleibt er deshalb, wenn auch nicht bewusst, in dem Bekannten, welches nicht mit einer Neuerung droht?

Wer weiß schon, was etwas Neues mit sich bringt. Gutes habe ich eh nicht, und das Schlechte kommt von selber.

Und schon kann man sich von der Eigenverantwortung freisprechen.

»Ordnung« und Disziplin

Ordnung ist häufig ein Reizwort. Das kann im Kindesalter beginnen, wenn die Eltern auf eine Ordnung im Kinderzimmer pochen. Benimm dich ordentlich, setz dich ordentlich hin, zieh dich ordentlich an. Was ist denn das für eine Ordnung! Dieses Wort kann nerven. Nicht nur in der Kindheit, auch im Berufsleben, in den Beziehungen, wenn die Chefs sowohl die beruflichen als auch die privaten auf ihre Ordnung pochen. Mach’s doch selber, lass mich in Ruhe mit deiner Ordnung!

Hat Ordnung eine emotionale Verwandtschaft mit Disziplin? Ich meine nicht die Tatsache, dass ein wenig Disziplin erforderlich ist, um Ordnung zu halten.

Disziplin ist oft ein Reizwort, ein heftiges sogar, wenn es im Coaching fällt. Da entstehen augenblicklich Bilder im Kopf mancher Klienten (bisher ausschließlich der männlichen).

Wir arbeiten gerne mit Assoziationen. Eine der Assoziationen ist die besagte Disziplin. Augenblicklich entstehen Bilder einer in schwarzes Leder gekleideten Domina, die eine Peitsche schwingt und diszipliniert. Oder auch nur einer anderen Frau, einer Tante, einer Lehrerin, manchmal auch der Eltern, die zur Disziplin zwingen.

Es kann ein längerer Weg sein, bis aus dieser Fremddisziplin eine Eigendisziplin wird. Gelingt dies, lieben die Menschen diese Disziplin. Sie verhilft zur Ordnung im Leben, zum Erfolg, zum Glück.

Sie kann den Ausweg aus dem vertrauten Elend aufzeigen.

Die Welt war, ist und bleibt in Ordnung

Die Welt war in Ordnung, sie ist und sie bleibt es. Es ist lediglich eine Frage der Perspektive.

Von der Perspektive des Homo sapiens aus betrachtet, war sie sogar mit den Massenaussterben in Ordnung, von denen bisher 5 bekannt sind. Ohne diese Kataklysmen hätte es unsere Spezies nicht gegeben. Das letzte Massenaussterben vor 66 Millionen Jahren machte nebst vielen anderen Arten auch den Dinosauriern den Garaus. Eine kleine Saurierart in Mausgröße, die bis dato in unterirdischen Tunnels vegetieren musste und überleben konnte, bekam dadurch die Chance, sich oberirdisch auszubreiten und zu entwickeln. Bis zum Homo sapiens hin.

Für den Homo sapiens war die Welt perfekt in Ordnung.

Sie ist es immer noch. Sämtliche Ressourcen im Überfluss. Gaia sorgt nicht nur für den Sauerstoff, sondern für die optimale Zusammensetzung der Atmosphäre. Sie sorgt für reines Wasser und die Wasserkreisläufe von den Niederschlägen bis zu den Meereskreisläufen hin. Darunter auch für den Golfstrom, der Europa sein angenehmes Klima schenkt. Sie sorgt für den fruchtbaren Boden, wobei hier die Leistung eines der Wunderwerke der Natur verkannt wird. Es sind die Architekten mit mehreren Herzen, die für den Humus sorgen und millionenfach auf einem Hektar zu finden sind. Ihnen hat die Krone der Schöpfung enorm viel zu verdanken – und findet sie oft ekelhaft. Die Rede ist natürlich von den Regenwürmern.

Für den Homo sapiens ist die Welt in Ordnung. Aber perfekt? Oder immer noch, um das eine Wort aus dem Filmtitel zu benutzen?

Sie ist es, sie bleibt es. Sie bleibt es auch, falls wir mit dem sechsten Massenaussterben, an dem wir fleißig arbeiten, Erfolg haben sollten.

Sie bleibt es sogar, wenn die oberste Spezies der gegenwärtigen Ära sich dezimieren oder gar enden sollte.

Warum wäre das in Ordnung? Weil es die logischen, die richtigen, die wohlverdienten Konsequenzen wären.

Vielleicht eröffnet dies Gaia eine weitere Möglichkeit, an einer intelligenten Nachfolgespezies des Homo sapiens zu arbeiten, die nebst ihrer technologischen Evolution an der moralisch-ethischen arbeitet.

So weit muss es jedoch nicht kommen. Es liegt an uns, diese Spezies zu werden, die mit ihrer Umwelt und mit der Mitschöpfung verantwortungsvoll und dankbar umgeht. Vor allem mit sich selbst, statt wie die Römer, sich den Kriegen und dem Bekriegen zu widmen. Die Zeit dafür haben wir.

Noch.

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