Der Weg ist das Ziel – oder ein Irrweg; von »Der Weg ist das Ziel« zu »Der Weg führt zum Ziel«

»Der Weg ist das Ziel« ist einer der sakrosankten Sprüche, denen man vorbehaltlos zustimmen muss, da sie zu hinterfragen, einem Sakrileg gleichkäme. Hat jemand Zweifel, möchte jemand hinterfragen, behält er das für sich. Wer will den schon unwissend dastehen inmitten der Wissenden oder gar Erleuchteten.

Es gibt zutreffende Sinndeutungen dieses Spruches. Eines müssen sie im Sinne haben: ein konkretes Ziel. Ist dem nicht so, sind die Wege ein zielloses Umherirren auf Ab- und Umwegen. Zielloses Umherirren, das ist keine Weisheit, das ist keine Spiritualität. Warum aber ist der Spruch so beliebt, warum wird er so oft zitiert?

Die Wege

Wer einen Weg geht, hat ein Ziel. Sogar wer sich ohne Weg und Ziel in die Natur begibt, wer nur die Natur genießen, sich ausruhen will, auch dieser Mensch hat ein Ziel und verfolgt es. Es ist der Genuss, es ist das Ausruhen.

Nicht jeder Weg ist dafür geeignet. In einer lärmenden Großstadt, in einer Fabrikhalle, inmitten eines Orkans in der Natur ist dieses Ziel nicht erreichbar. Gut, die Ruhe, sogar die letzte Ruhe wäre inmitten eines Orkans und im Wald möglich. Ein makabrer Weg und kein empfehlenswerter aber.

Wer nur Wege gehen will und keine Ziele im Sinne hat, der irrt.

Oder die Ziele seiner Wege sind ihm nicht bewusst.

Das Wasser

Das Unbewusste, welches in jedem Menschen wirkt und sein Handeln beeinflusst, ist per definitionem unbewusst. Vielleicht ist Sigmund Freuds Eisbergmodell bekannt, in dem das Bewusstsein nur der sichtbare Teil des Eisbergs ist, das Unbewusste der unsichtbare Teil im Wasser – also die 70 bis 90 Prozent des Eisbergs. Es kann aber noch dramatischer sein, wir wissen eben um das Unbewusste nicht. Zutreffender finde ich daher den Satz Isaac Newtons: »Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen, ein Ozean«.

Eines der gängigsten Symbole der Emotionen, Gefühle, des Innenlebens ist das Wasser. In den Tarotkarten ist das so, in den Symbollexika ist das zu finden; es fließt Tränenwasser bei heftigen Emotionen. Nachvollziehbar, dass Newton und Freud für ihre Vergleiche Wasser heranziehen.

Entscheidend ist das Wissen darum, dass uns nur wenig bewusst ist, dass erst durch Jahre der Arbeit, Reifung, leider auch des Irrtums und des Leids einige Tropfen des Unbewussten den Weg ins Bewusstsein finden.

Das Unbewusste bleibt verborgen und trüb. Aber im trüben Wasser fischt man gern, was nicht nur Verschwörungstheoretikern nutzen.

Die Nicht-Buddhas

Hätte der Mensch kein Unbewusstes, hätte er keine Prägungen, Ängste, Traumen, würde er oder seine Seele nicht mehr lernen müssen – wozu dann das Leben? Eine wahre, vollendete Buddhanatur muss nicht mehr inkarnieren. Sie will es. Sie will anderen Menschen helfen und das ist ihr Ziel, für dessen Erfüllung sie irdische Wege geht.

Der Nicht-Buddha, davon gibt es auf diesem Planeten bald 8 Milliarden, geht seine Lebenswege mit dem Unbewussten, er hat Ziele, auch unbewusste.

Wer offene Rechnungen mit seinen Eltern hat, besonders die Männer mit ihrer Mutter, hat sie zunächst im Unbewussten. Wer Traumen durchlebt hat, denen er sich noch nicht stellen kann, der – oder dessen Seele – verdrängt das ins Unbewusste. Das ist nicht nur richtig so, das ist überlebensnotwendig.

Wer noch nicht reif ist, noch zu wenig weiß, noch nicht genügend Antrieb, noch nicht genügend Kraft für ein Ziel hat, hält dieses Fehlen im Unbewussten. Das war euphemistisch ausgedrückt. Direkter kann das heißen, ich will noch nicht, ich bin noch zu bequem, habe noch zu viele Ängste, bin noch zu träge. Oder mein Leidensdruck ist noch nicht groß genug. Das sich selbst gegenüber einzugestehen ist zwar der erste Schritt auf dem Weg zum Ziel – aber äußerst schwierig zu bewältigen. Das bedarf einer Reife, die wir auf den Wegen des Lebens erarbeiten können. Vorausgesetzt, wir gehen sie. Das ist nebenbei bemerkt eine Union zwischen Weg und Ziel.

Die unbewussten Ziele

Wie aber die unbewussten Gründe dafür verbergen, dass ich noch nicht mit dem Herzen und der Seele an einem Ziel arbeite, sondern nur verbal?

Für die Abwehrmechanismen, für die Verdrängungen ins Unbewusste also, ist die Seele zuständig, oder die Psyche eines Menschen, wem Seele nicht behagt. Aber diese Mechanismen sind uns eben nicht bewusst, ergo können wir sie nicht bewusst einsetzen, ergo nicht nutzen.

Die Hilfe ist jedoch nahe. Es sind einige der wohlklingenden Sprüche, die widerspruchslos und mantramäßig benutzt werden. Der Weg, der das Ziel ist, ist ein Paradebeispiel dafür.

  • Ist der Weg das Ziel, muss ich nicht das Ziel kennen. Ich muss es nicht konkretisieren, muss nicht die Wege dorthin planen, muss die Wege nicht gehen.
  • Ist der Weg das Ziel, ist keine Erklärung erforderlich für meine Ziellosigkeit, für mein Scheitern. Der Weg ist das Ziel, und ich bin doch auf dem Weg?
  • Ist der Weg das Ziel, muss ich nicht diszipliniert an meinem Ziel arbeiten. Wie der Narr im Tarot kann ich pfeifend des Weges tänzeln. Schaue sich aber die Karte genau an, wer sie nicht kennt.
  • Ist der Weg das Ziel, kann das die Angst davor sein, danach keine Lebensziele mehr zu haben. Die Seele verrät uns nicht alle ihre Ziele. Wieder ist das gut und richtig so, sie würde uns mit dieser Fülle lebensbedrohlich überfordern.

Zusammengefasst: Ist der Weg das Ziel, schere ich mich – noch – nicht um meine Ziele.

Keine Bosheit, keine Müßigkeit ist das jedoch. Das ist der Lauf des Lebens, das ist das Lernen und die Reifung im Leben, um diese Zusammenhänge zu erkennen und sich von ihnen zu befreien.

Und es stimmt doch

So ist doch immer der Weg, nein, nicht das Ziel, sondern ein Teil des Ziels, eben der Weg dorthin.

So erreichen beide Menschen ihre Ziele, der Mensch mit den bewussten und der mit den unbewussten Zielen. Glücklich wird nur der erste, der sein Ziel auf allen Wegen beachtet.

Für ihn gilt: Der Weg führt zum Ziel.

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