Demenz und die Wahl der Seele

In dem Beitrag »Besondere Lebenswege, besondere Menschen und andere Meister des Lebens« [*] stelle ich eine Frage: »Demenz ist eine Behinderung. Doch ist die Annahme so abwegig, dass es in diesem Fall ein besonderer Lernweg der Seele war?«

Es scheint eine gewagte These zu sein, in einer Demenz eine freie Wahl der Seele zu sehen. Sie entspringt aber nicht nur diesem einen Beispiel.

Die Perspektiven

Um darüber zu reflektieren, muss der Verstand bereit sein, sich in die Erfahrungswelt der Seele hineinzuversetzen. Dem bewussten Anteil des Verstandes ist die Seele fern, er kann sich jedoch die Unterschiede der zeitlichen Perspektiven des Verstandes und der Seele vorstellen.

Der Verstand ist am Beginn seiner Existenz beinahe eine Tabula rasa; nur einige Erfahrungen der Mutter wirken ein, das Kollektive (Unbewusste) ist da. Die auf Sünde und Strafe ausgerichtete Kirche konzentriert sich auf die negativen Anteile des Kollektiven und nennt es Erbsünde. Im Laufe des Lebens sammelt der Verstand Erfahrungen, staunt, hinterfragt, zweifelt. Er denkt nach, er philosophiert. Doch obwohl er auf fremde Erfahrungen zurückgreifen kann, bleibt seine überzeugendste Erfahrungswelt – die eigene – auf das eine Leben begrenzt.

Der Seele hingegen ist das erfolgte Lernen bewusst und das, was sie lernen will. Ihr Lernen absolviert sie durch Erfahrungen und durch Einsicht. Das Lernen durch Einsicht ist aber erst mit zunehmender Erfahrung möglich. Es ist wie bei einem Kind, welches nach einer Erfahrung mit der heißen Herdplatte allgemein weiß, was heiß bedeutet und es nicht nur bei Herdplatten meidet.

Das Lernen der Seele

Die Seele beginnt das neue Leben mit den alten Erfahrungen und den alten Einsichten. Sie hat eine andere Einstellung zum Tod, da er für sie kein Ende darstellt, sondern einen wohlbekannten Übergang. Ihr Lernen ist nicht auf ein einziges Leben beschränkt.

Sie kennt keine Ängste vor einem vorgeblichen Gott der Liebe, der einen Menschen eines einzigen Lebens wegen zu einer ewigen Verdammnis verurteilt. Solche Konzepte entstammen Gehirnen, die kein Problem damit haben, Sadismus mit Liebe gleichzusetzen.

Die Seele belügt sich nicht, indem sie unkritisch ein Lernen als erledigt abhakt, was der Verstand so gerne macht.

Erfahrungen wiederholen

Das Lernen durch Einsicht ist ein reifes Lernen, dem Erfahrungen vorangingen. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine »gereifte« Seele keine Erfahrungen mehr machen will. Sie kann die Erfahrungen der Liebe wiederholen, sie kann freiwillig andere Seelen unterstützen, was allerdings wieder ein Akt der Liebe ist.

Diese Konzepte sind einigen Religionen bekannt, in denen Menschen respektive Seelen anderer Lebewesen wegen inkarnieren, um ihnen zu helfen.

Erfahrungen, die das Lernen perfektionieren

Es gibt Erfahrungen, mit denen die Seele ein Lernen erweitert, vertieft, perfektioniert.

Ich verweise wieder auf Peter in »Drei Lichter der kleinen Veronika« [*]. Peter führte bereits das Leben eines weisen Gelehrten, will aber Menschen mit geistiger Behinderung helfen. Um das Innenleben dieser Menschen besser zu begreifen, wählt er dazu ein Leben mit einer Behinderung.

Für die Seele ist das ein selbst gewähltes Erfahrungsleben. Dem Verstand fehlt die Einsicht für den Grund und das Ziel der Seele. Er bewertet solche Leben negativ.

Erfahrungen, die ein Lernen überprüfen

War eine Seele beispielsweise Menschen mit Behinderung gegenüber grausam, lernte aber ein neues Verhalten durch ein Leben mit einer Behinderung, mag sie den Lernerfolg überprüfen. Sie wählt dafür kein weiteres Leben mit einer Behinderung, welches übrigens keine Strafe ist, sondern eine Lernchance. Sie wählt ein Leben mit Behinderungen in ihrem Umfeld.

Mit den Erfahrungen dieses Lebens kann die Seele überprüfen, wie ihr Verhältnis zu Menschen mit Behinderung ist. Sie weiß danach, ob sie der Empathie fähig und dieses Lernen abgeschlossen ist.

Erfahrungen, die ein Lernen vorantreiben

Weigert sich der Verstand, das Lernen der Seele anzunehmen, kann die Seele das Lernen in diesem Leben stunden. Sie verfügt über ausreichend Zeit und Leben zum Lernen. Wenn sie aber eine Chance in diesem Leben vermutet und sie diese daher wahrnehmen will?

Hier ist eine Seele, deren Mensch ausschließlich dem Materialismus frönt. Helfen keine sanften Erfahrungen und keine Einflüsterungen, kann die Seele einen Weg in die Demenz wählen. Für sie und ihren Menschen ist das eine Chance, dem Verstand die Übermacht zu entziehen und sich auch der Spiritualität zuzuwenden.

Solche drastischen Seelenwege erscheinen dem Verstand grausam. Für die Seele sind es Wege der Liebe, da sie dieses Lernen um ein weiteres oder gar mehrere Leben verkürzen kann. Einer dieser Wege der Weisheit und der Liebe kann die Demenz sein.

Wer nun geneigt ist, in jeder Behinderung eine freie Wahl der Seele zu sehen und das mit einem »Selber schuld« quittiert, fällt gerade durch seine eigene Seelenprüfung durch.


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