Besondere Lebenswege, besondere Menschen und andere Meister des Lebens (eine Nachlese)

Eine Nachlese zu »Die Seele und besondere Menschen; Behinderung, Talente«

Etwas Besonderes ist jeder Mensch, da jeder Mensch ein unverwechselbares Wesen ist, einzigartig auf der Welt, mögen noch so viele Milliarden Seelen die Erde bevölkern. Sogar bei eineiigen Zwillingen sind es bei aller äußeren Ähnlichkeit zwei unterschiedliche Menschen, zwei unterschiedliche Seelen. Werden die Erfahrungen und Prägungen der Vorleben miteinbezogen, so wird es vollends bewusst, dass jeder Mensch etwas Einmaliges, insofern Besonderes ist.

Es ist wie mit den Schneeflocken, die den Menschen zahlenmäßig gewaltig übertreffen, dennoch nie identisch sind. Oder mit den Milliarden von Sternen in Milliarden von Galaxien, bei denen es keine zwei identischen Sterne gibt. Auch sie haben ein oder mehrere Vorleben, da die Materie, aus der sie entstanden sind, unterschiedliche Entwicklungswege nahm.

Besondere Lebenswege und Meister des Lebens

Der Grund, warum ich im ersten Beitrag von besonderen Menschen sprach, sind ihre Lebenswege, die von den gewohnten Wegen abweichen. Es gibt unterschiedliche Ausprägungen der ungewohnten Lebenswege, nicht immer sind sie von außen erkennbar. Es gibt Menschen, die mit einer ernsthaften Erkrankung im Stillen umzugehen versuchen oder Menschen, die sich nicht mitteilen können.

Besonders kann der Lebensweg eines Menschen in einer Grenzsituation werden, die ihm Kräfte und Fähigkeiten abverlangt, die für ihn weit außerhalb dessen liegen, was für ihn bis dahin normal war. In einem Hospiz arbeiten, Entwicklungshilfe in gefährlichen Regionen leisten oder Hilfe bei Epidemien oder nach Katastrophen, Menschen mit Behinderung begleiten. Das eigene Leben riskieren, um anderes zu retten. Eltern schwerkranker Kinder, die sie mit Liebe begleiten, Eltern, die sich nach einer pränatalen Diagnose für ein Kind mit Behinderung entscheiden: Alles normale Wege?

Manche Menschen werden durch die Medien als Helden des Alltags geehrt, manche mit einem Verdienstorden ausgezeichnet. Es sind wenige, die so bekannt werden, es sind viele, die unbekannt bleiben – die Meister des Lebens.

Moral und Ethik

»Wahrheiten und Moral« ist der Titel eines Erleuchtungs-Minütchens. Die Wahrheit sei ehrlicher als die Moral, heißt es darin. Verräterisch sei es, dass die Wahrheit den Plural kenne, die Moral hingegen nicht.

Moral ist wandelbar, Moral hängt von der Kultur, der Religion, dem Zeitgeist ab. Wer moralisch korrekt handelt, handelt nicht per se ethisch; die vielen Religionen des einzig wahrhaftigen Gottes beweisen das heute noch. Außerdem hat jeder Mensch seine Wahrheiten, die durch seine individuelle Lebensprägung zu Unterschieden in der Wahrnehmung der Welt und ihrer Bewertung führen.

Was heute in einem Land, einer Kultur, einer Religion moralisch verwerflich ist, konnte vor Zeiten normal gewesen sein. Dieser Wandel schlägt sich in der Sprache nieder; aus Behinderten werden Menschen mit Behinderung. Eine junge Frau, die Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung betreut, berichtete mir von Menschen mit geistiger Behinderung, die sich wünschen, anders genannt zu werden. Sie seien Menschen mit Lernschwierigkeiten oder mit Lernproblemen.

Behinderung, Logik, Sprache

Warum es nicht nur linguistisch relevant ist, zwischen »Behinderten« und »Menschen mit Behinderung« zu unterscheiden, skizziere ich kurz in dem Beitrag »Worte hinterfragt: Behinderung, Logik, Sprache« [3]. Die Essenz dieser Betrachtung:

Ein Behinderter ist ein Mensch, dessen besonderes oder gar einziges Merkmal die Behinderung ist.
Dieser Mensch wird auf die Behinderung reduziert.

Ein Mensch mit einer Behinderung ist ein Mensch, der mit etwas lebt, was die anderen als Behinderung definieren.
Hier ist der Mensch gemeint.

Die Seelen

Die erwähnte junge Frau erzählte mir von einer im normalen Alltag unspektakulären Leistung eines Kindes mit Behinderung. Das Kind habe nach vielen Versuchen gelernt, auf seinen Essensstuhl zu klettern, wodurch es eigenständig seinen Hunger habe signalisieren können. Der Zugewinn an Selbstwert und an Selbstständigkeit dieses Kindes sei unübersehbar gewesen. Für dieses Kind ist das eine Meisterleistung, die ebenso wertvoll ist, wie die eines Architekten oder eines Poeten.

Die Blasiertheit mancher Menschen in ihrem Verhältnis dem Tier gegenüber erwähnte ich in »Die Tiere und ihre Seele« [4] und zitierte darin Manfred Kyber. Kyber war nicht nur ein Fürsprecher der Tiere. Einer der Protagonisten seines Romans »Die drei Lichter der kleinen Veronika« ist Peter, ein dem heutigen Sprachgebrauch nach, junger Mensch mit geistiger Behinderung. Peters Seele hatte jedoch das Leben eines Gelehrten hinter sich und es war ihre Wahl, diesen Lebensweg mit einer Behinderung zu beschreiten.

»Wir würden uns mehr Akzeptanz wünschen, denn Barrierefreiheit ist leider noch ein Fremdwort«, hieß es in einer Mail zu diesem Beitrag. Schade, wenn Menschen als Behinderte wahrgenommen werden, nicht der Mensch mit seiner Seele.

Seele und Demenz

In meinen jungen Jahren lernte ich einen deutlich älteren Menschen kennen. Unser Verhältnis entwickelte sich zu einer Feindschaft, die mit dem Abbruch aller Kontakte endete. Einige Jahre später und ohne einen ersichtlichen Anlass, erinnerte ich mich intensiv an den für mich nicht mehr nachvollziehbaren Kampf. Begleitet war diese Erinnerung von einem Bedürfnis, einen inneren Frieden mit diesem Menschen zu schließen. Es gelang mir. Nur wenige Wochen darauf erfuhr ich, dieser Mensch leide unter Demenz und sei in einem Heim untergebracht worden. Zunächst staunte ich, dass mir mein einseitiger Frieden kurz vor dieser Nachricht gelang.

Jahre später keimte der Verdacht auf, dass die Demenz eine Entscheidung des Menschen-Seele-Gespanns sein könnte. Dieser Mensch ließ ausschließlich den Verstand gelten, solches wie eine Seele erachtete er für einen gefährlichen Nonsens. Konnten er und seine Seele nur über die Demenz, den übermächtigen Verstand zum Wahrnehmen der Seele bewegen?

Demenz ist eine Behinderung. Doch ist die Annahme so abwegig, dass es in diesem Fall ein besonderer Lernweg der Seele war?

Respekt und Achtung ist das, was ich für diesen Menschen heute empfinde. In der damaligen Versöhnung sehe ich keine einseitige Versöhnung mehr, sondern eine Versöhnung beider Seelen.


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