Heilige, Hexen, Huren, Hebammen und Versicherungen – Wie es uns gefällt

Heute muss man Hebammen nicht mehr der Hexerei bezichtigen; heute reicht es, die Berufshaftpflichtprämien zu erhöhen.

Heilige und Huren

Wunschfrau und Traum angeblich vieler Männer: die Heilige und Hure und Partnerin in Personalunion. Da dies selten möglich scheint, wird die Hure außerhalb der Partnerschaft gesucht und aufgesucht. Heilig ist aber kein Mensch, auch kein Partner. So ist es unvermeidlich, dass Beziehungen, in denen diese Ansprüche herrschen, keinen Bestand haben.

Dabei liegt es nur an der unzulänglichen Kommunikation in der Beziehung. An dem fehlenden Mut zum offenen Austausch über die sexuellen Wünsche. An der fehlenden Erlaubnis dazu. Wer hat’s erfunden? Die Schweizer waren es nicht. Es wirken die Jahrhunderte der Kirche auch dann, wenn man glaubt, sich von ihren institutionalisierten Entgleisungen emanzipiert zu haben.

Es wird zwar über Sex gesprochen, aber außerhalb der Beziehung. Es wird über Sex gesprochen, nicht aber beim Sex. Zugegeben, das ist eine Kunst, besonders in den jüngeren Jahren. Diese Kunst gelingt oft erst im reiferen Alter. Heilige und Hure, wenn man bei diesem Terminus bleibt, sind dennoch innerhalb der Partnerschaft möglich, für Frau und Mann. Wer diese Hoffnung schöpfen will, recherchiere bitte nach David Schnarch und seiner Arbeit.

Wie es uns gefällt – mal Heilige, mal Hure

Wie es uns gefällt. Uns, den Machthabern, ergo den Männern, zumindest im geschichtlichen Kontext. Den Männern des Krieges, der Politik, den Männern der Kirche. Das ist ohnehin meistens miteinander verwoben. Zwei Beispiele hierzu mit bekannten Frauen.

Maria Magdalena / Maria von Magdala

Nach neueren Forschungen, die auf jüngeren Funden älterer Texte gründen, ist Maria von Magdala eine Apostelin. Eine von mehreren. Unstrittig ist sie die erste Zeugin der Auferstehung Jesu, unstrittig auch ihre Ablehnung durch einige männliche Apostel. Eine Frau, die mitreden will, die sogar mehr wissen soll, als die Männer! Das muss Paulus’ Neurosen mächtig bedient haben. Weiteren Erlebnissen dieser unwillkommenen Art beugt er vor, indem er festhält: »Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei still.« (1. Tim 2,12)

Die nachfolgenden Männer der Kirche demontieren Maria von Magdala weiter und machen sie zu einer Hure. Ende des 6. Jahrhunderts verkündet Papst Gregor I., Maria von Magdala sei die Sünderin, die Jesus Füße wusch. Heute ist diese Gleichsetzung umstritten, die Wirkung bleibt. Aber die Frau, der das Lehren nicht gestattet ist, gehört nach wie vor zum heiligen Kanon der Kirche.

Wie es uns gefällt.

Jeanne d’Arc / Johanna von Orléans

Im Krieg gegen die Engländer sehen einige Franzosen eine Heilige in ihr. Aus politischen Gründen verbrennt sie einige Jahre später auf dem Scheiterhaufen als notorische Ketzerin. Wenige Jahrzehnte später, wiederum aus politischen Gründen, wird sie rehabilitiert. Und einige Jahrhunderte später, Anfang des 19. Jahrhunderts, erfolgt ihre Heiligsprechung. Heute findet sie sich im ökumenischen Heiligenlexikon als Retterin Frankreichs und Märtyrerin.

Wie es uns gefällt.

Hexen und Hebammen

Gründe gab es viele, um vornehmlich Frauen zu Hexen zu erklären und sie aus dem Leben zu schaffen. Besitzaneignung, Beseitigung unbequemer Menschen oder die Externalisierung der Verantwortung also die Verlagerung der Verantwortung auf andere. Es lebt sich leichter, wenn die Verantwortung für die Unbilden des Lebens da draußen gesucht und scheinbar gefunden werden kann. Heute sind es die Politiker, die Konzerne, die Märkte und im Kleineren die Staus, die Chefs und immer wieder gerne die bösen Nachbarn oder Partner.

Anno dazumal waren es die Hexen, die die Milch sauer machten, die Kinder haben sterben lassen, das Mutterkorn haben wachsen lassen. Die Kleine Eiszeit, die das Mutterkornwachstum begünstigte, war damals nicht bekannt. Doch wäre dieser Zusammenhang bekannt gewesen, wären wiederum die Hexen für diese Klimaschwankung verantwortlich.

Wie es uns gefällt, wie es uns dienlich ist. Weise oder wissende Frauen waren schon den Männern der Kirche suspekt. Und verfügen diese Frauen über heilendes Wissen, sind sie den Ärzten nicht nur suspekt, sie sind ihre Konkurrenz. Außerdem eignen sie sich wieder für die Verlagerung der Verantwortung. Denn wenn sie Frauen bei der Verhütung helfen, verzögern sie die Vermehrung der Menschen nach den Krankheiten und Kriegen. Und Menschen werden gebraucht; wen soll man regieren, von wem die Steuer eintreiben, wen in den Krieg schicken. Das Verkennen der Verantwortung besteht in der Fixierung auf die Vermehrung der Menschen und die Verdrängung der Gründe für den Rückgang der menschlichen Population.

Hebammen sind unerwünscht. Direkt dagegen vorzugehen ist nicht leicht oder nicht effizient. Wenn jedoch ihr Wissen und Können mit Hexerei gleichgesetzt wird, lässt sich das Problem beseitigen.

Versicherungen

Heute muss man Hebammen nicht mehr der Hexerei bezichtigen,
heute reicht es, die Berufshaftpflichtprämien zu erhöhen.

Es gibt heute Geschichtsforscher, die trotz historischer Belege den Hebammen-Hexen-Zusammenhang aus der Welt zu schaffen versuchen. Es sind Männer.

Immer noch wie es uns gefällt?

Eine provokante Frage, doch keine unbegründete. Es sind – wieder eine Externalisierung der Verantwortung – der Konkurrenzkampf, der Leistungsdruck, die Versicherungen, die Gesetze, die Politiker, die zu einer kostenorientierten Arbeit zwingen. Die Lobbyarbeit ist zwar hilfreich, mit ihr hat man Einfluss auf die Politiker, die Gesetze oder auch die Forschung respektive die Publizierung ihrer Ergebnisse. Reicht das aber?

Zurück zu den H-Frauen, den Heiligen, Hexen, Huren und Hebammen, von denen der Sprung zu Versicherungen jetzt ein leichter ist. Heute muss man Hebammen nicht mehr der Hexerei bezichtigen, heute reicht es, die Berufshaftpflichtprämien zu erhöhen.

Seitens der Versicherungen werden sachliche Gründe der Erhöhungen aufgeführt. Kinder sind aber keine Sachen, und den Zustand einer Gesellschaft erkennt man daran, wie sie mit ihren Schwachen und Schwächsten umgeht. Nicht nur Gustav Heinemann wusste das. Ärzte, Lobbyisten oder Versicherungen gehören nicht den Schwächsten an.

Welche Interessen hat eine Gesellschaft daran, Hebammen aussterben zu lassen?

Immer noch wie es uns gefällt?


Passend zum Beitrag

Schreibe einen Kommentar