Wie ich die Angst vor dem Sterben verlor; Der Humor, das Loslassen und das Leben

Ein Beitrag in »Happy Way«

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Mag auch der Titel pathetisch anmuten, wahr ist er dennoch. Ich bin überzeugt, der Humor rettete mir vor gut drei Jahrzehnten mein Leben an einem kalten Frühlingstag in einem ebenso kalten See. Aus heutiger Sicht spielte ich damals Russisch Roulette. Nicht das einzige Mal und nicht das riskanteste in meinen jüngeren Jahren. Stolz bin ich nicht darauf aber dankbar, daraus gelernt zu haben.

Dieses Erlebnis erschien in der Ausgabe von »Happy Way«, die sich dem Leitthema »Loslassen« widmete. Mein Loslassen betraf das Leben, von dem ich mich mit einem lapidaren Satz verabschieden wollte. Einem Satz, den ich – oder meine Seele – offensichtlich humorvoll fand und so für das Überleben sorgte in einem Münchener See, in den ich sorglos hineinsprang.

Der folgende Text ist ein leicht gekürzter Auszug aus dem Beitrag.

Jung sterben war nicht geplant

Doch plötzlich – ist es Schüttelfrost oder Zähneklappern? Und was ist mit meinen Beinen los?! Zunächst versagt ein Bein, ich kann es nicht bewegen. Sekunden nur und das zweite Bein ist ebenfalls gefühllos. Ich kann noch mit den Armen wenden, damit ich das Ufer und meinen Sohn sehen kann, doch dann wird es ernst. Es versagen auch die Arme.

Wenige Sekunden eines völligen Loslassens. Eine Leere im Kopf, keine Worte, nur das Bild der beiden Menschen auf der Decke am Ufer. Den Lebensfilm, der abzulaufen beginnt, will ich verdrängen, da dies vor dem Sterben geschehen soll. Sterben?

Ein Gedankensturm. Mir ist bewusst, dass ich in einigen Sekunden untergehen werde, wenn ich kein Gefühl mehr bekomme. Um Hilfe rufen? Eine blitzschnelle Abwägung: Wenn meine Frau, kälteempfindlich wie sie ist, in den See springt, wird der Sohn zum Waisen. Also kein Ton! Seltsamerweise beruhigt diese Entscheidung. Es wird mir klar, dass es auf das Sterben zugeht. Ich versinke immer tiefer, der Mund im Wasser. Ein kurzer Anflug von Angst, denn das Ertrinken ist doch schmerzhaft.

Ein letzter Blick zum Ufer. Vollkommene Ruhe breitet sich in mir aus, denn ich erinnere mich an meinen Freund Vinzenz und sein Versprechen. Das beruhigt. Vinzenz wird die erste Zeit aufpassen, ja, das tut er.

Ich bin voll bei mir. So jung zu sterben, das war nicht geplant, huscht es mir durch den Kopf. Warum dennoch keine Angst vor dem Sterben, will mein Verstand wissen. Ist es der Glaube an die Inkarnationen der Seele? Ist es der entbindende Arzt, der meiner Mutter nahelegte, sich nicht über mich zu freuen, da ich mit meiner Anämie nur zwei Monate leben würde?

Die Nase versinkt im Wasser, das Atmen ist nicht mehr möglich. Ich schließe die Augen.

Okay, dann sterben wir halt mal

Ich nehme das Wasser in der Nase wahr. Alles ist ruhig, ich bin ruhig. Und dann erklingt ein Satz in mir: »Okay, dann sterben wir halt mal.«

Kurzes Staunen. Das Wasser wird bedeutungslos. Das »mal« in diesem Satz freut mich, da ich darin ein »wieder mal« sehe, was auf Wiedergeburten hindeutet. Aber das »wir«! Diese drei Buchstaben bohren sich in meinen Verstand, als würde davon das Schicksal der Welt abhängen. Pluralis Majestatis? Blitzartig taucht die Verknüpfung des Münchener Wassers mit König Ludwig und seinem Schicksal auf. Größenwahn?

Sekundenbruchteile nur und es geschieht zweierlei. Eine Heiterkeit über das »wir« und den Pluralis Majestatis macht sich in mir breit. Der Tod wird irrelevant, nein, er existiert nicht. Gleichzeitig verspüre ich etwas in meinem Oberkörper. Es ist ein Schütteln, welches ich erst nach einigen Sekunden identifizieren kann: Ich lache! Ich lache über meinen letzten Satz.
Ich nehme wahr, wie sich das Lachen meines Körpers bemächtigt, wie es sich ausbreitet. Meine Finger gehorchen erneut meinem Willen, die Arme folgen. Ich kann die Nase über Wasser halten. Nach wenigen Sekunden kann ich meine Beine bewegen. Und ich lache – der Tod kann warten. Das Schwimmen ist eine Herausforderung für die kalte Muskulatur, doch nach einigen Minuten erreiche ich das Ufer. Ich beschließe, dieses Erlebnis für mich zu behalten.

An den folgenden Tagen analysiere ich das Ereignis, scheitere jedoch an dem »Wir«. So ordne ich das Erlebnis meinen weiteren Erfahrungen der »Chancen zum Sterben« zu. Der Tod kann warten. Aber nicht das Leben.

[…]

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