Grenzen setzen lernen mit einem »Ja«; Partnerschaften und der Einfluss der Eltern

Jeder Mensch hat seine Grenzen, deren Verletzung mindestens Unbehagen verursacht oder sogar als Angriff auf die eigene Persönlichkeit empfunden wird.

Diese Erfahrung machen wir öfter, die Grenzüberschreitung ist ein alltägliches Phänomen. Dabei ist das nicht a priori eine absichtliche Handlung. Da diese Grenzen individuell verschieden sind, kann es sein, dass jemand seine eigenen Grenzen auch bei den anderen voraussetzt und nicht bedenkt, dass andere Grenzen etwas enger gezogen sein können.

Es liegt daher an uns, für die Wahrung unserer Grenzen zu sorgen. Sachlich betrachtet würde es ausreichen, wenn wir die anderen über unsere Grenzen und Grenzverletzungen informieren.

Was so einfach klingt, gehört zu den schwierigsten Übungen im Leben.

Die Eltern

Die ersten Grenzverletzungen geschehen durch die Eltern. Es ist ein natürlicher Vorgang, denn am Anfang unseres Lebens haben wir noch keine Grenzen, wir sind darauf angewiesen, zumindest die Mutter [*], sehr nahe an uns heranzulassen. Es ist schlicht eine Sache des Überlebens und das nicht nur während der Schwangerschaft [1].

Mit der fortschreitenden Entwicklung unseres Bewusstseins entwickeln und weiten sich unsere Grenzen. Wir fremdeln zunächst und irgendwann folgt die erste Übung in Grenzensetzung, indem wir unsere Andersartigkeit den Eltern gegenüber herausarbeiten und zu zeigen beginnen. Das ist die Polarität des Trotzalters!

Die Pubertät ist eine Phase der Grenzensetzung, vor allem den Eltern gegenüber. Verläuft diese Phase korrekt, lassen die Eltern die Entwicklung der Grenzen bei ihren Kinder zu und setzen sie dem Kind gesunde Grenzen, so wird diese schwierige Phase für den Heranwachsenden zu einer erfolgreichen Lernphase für das gesamte Leben. Ein solches Kind kann als Erwachsener gut für seine Grenzen sorgen, überschreitet nicht so oft die Grenzen anderer, lernt leichter die Balance zwischen Nähe und Distanz in seinen Beziehungen.

Das Kind als Partnerersatz

So sind leider nicht alle Eltern. Wenn die Beziehung zwischen den Eltern nicht zu den glücklicheren gehört, dann wird nicht selten versucht, das Kind zu einem Partnerersatz zu machen. Ebenso wenn die Eltern den Selbstwert des Kindes nicht stärken: Das Setzen der Grenzen wird für dieses Kind zu einer schwierigen Lebensaufgabe.

Es gibt noch andere Gründe dafür, dass die Grenzensetzung nicht so einfach gelingen will. Dieses Thema lässt sich nicht in einem kurzen Beitrag erschöpfend bearbeiten. Hier sollten daher nur einige wenige Aspekte beleuchtet werden, die eine gesunde Grenzensetzung unterstützen.

Ja statt Nein

Meist wird das Setzen der Grenzen nur mit einem Nein den anderen gegenüber gleichgesetzt. Wenn wir uns jedoch nur auf das Nein beschränken, ist das kein Garant für einen dauerhaften Erfolg. Ein Nein ist eine zweischneidige Methode, ebenso das Vorgehen gegen jemanden.

Was geschieht, wenn uns jemand sagt: „Denke nicht an einen rosa Elefanten“? Natürlich steht sofort ein prächtiger rosa Elefant vor unserem inneren Auge. Weniger harmlos wird es, wenn wir an etwas Unangenehmes, was uns Angst bereitet, nicht zu denken versuchen. Wenn wir es also verdrängen wollen. Natürlich beherrscht es unser Denken und Fühlen, ob bewusst oder unbewusst.

Lassen wir das Prinzip der Anziehungskraft oder der selbsterfüllenden Prophezeiung zu, so dürfen wir uns nicht wundern, dass genau das, was wir nicht haben oder erleben möchten, zur Realität wird.

Ähnlich verhält es sich mit dem Vorgehen oder gar einem Kampf gegen jemanden. Wir schenken dadurch diesem Menschen nur noch mehr Energie und Aufmerksamkeit. Und entziehen diese Energie uns selbst.

Die Seele oder das Unbewusste kennt das Nein nicht. Die inneren Bilder repräsentieren kein Nein, sondern genau das, wogegen sich unser Nein richtet. Also genau das, was wir nicht haben möchten. Ein Nein oder das Vorgehen gegen etwas ist mit Vorsicht zu genießen und einzusetzen.

Ein Ja zu sich selbst

Zielführender ist es mit einem Ja zu arbeiten. Es geht um das Ja zu uns selbst. Würden wir Grenzen ausschließlich durch ein Nein zu setzen versuchen, wird dies zu einer umfangreichen und zermürbenden Aufgabe. Wir müssten vielen Menschen in vielen Situationen das Nein sagen oder das Stopp-Schild zeigen. Und ein Nein hören wir doch alle nicht so gerne!

Sagen wir hingegen Ja zu uns selbst und leben wir diese Bejahung, so strahlen wir dieses Selbstbewusstsein aus.

Eine der Folgen ist, dass viele Menschen sich nicht mehr dazu verleitet fühlen, unsere Grenzen zu überschreiten. Die Menschen werden einen Respekt vor uns haben, der sie an Grenzverletzungen erst gar nicht denken lässt.

Ja, die Selbstbejahung kann ebenfalls eine schwierige Aufgabe sein. Wenn wir jedoch vor der Wahl stehen sollten, ob wir nun das Setzen von Grenzen oder die Selbstbejahung als die nächste Lebensaufgabe angehen, so sollten wir uns für die Selbstbejahung entscheiden. Denn damit erledigen wir nicht nur diese eine Aufgabe, sondern viele weitere mehr, darunter auch die Grenzensetzung.

Gesunde Grenzüberschreitung – Entwicklung in der Partnerschaft

Nicht jede Grenzüberschreitung ist grundsätzlich schädlich, es gibt gute und richtige Grenzüberschreitungen. Auch wir überschreiten immer wieder die Grenzen anderer Menschen. In einer Partnerschaft ist die gegenseitige Überschreitung von Grenzen ein Akt des Kennenlernens, des Zusammenwachsens und der Arbeit an der gleichen Augenhöhe [*], also der Reifung der Partner.

Die Voraussetzungen dafür sind das gegenseitige Vertrauen und die gegenseitige Wertschätzung. Sind das Vertrauen und die Wertschätzung gegeben, ist die erforderliche Kommunikation kein Problem mehr. Eine ehrliche Kommunikation ist erforderlich, denn nicht immer erfährt der Partner aufgrund der Reaktionen des anderen, dass eine Grenzüberschreitung stattgefunden hat.

In einer solchen vom Vertrauen und Wertschätzung geprägten Atmosphäre lernen sich die Partner intensiver kennen. Nicht nur den Partner, sondern auch sich selbst. Sie erkennen, wo die Grenzen liegen. Dem folgt eine Entscheidung darüber, ob eine Grenze respektiert werden sollte oder ob sie verschoben werden kann – zumindest für den Partner. Respektiert der Partner diese Grenze oder erfährt er, dass er etwas näher an seinen Partner heran kann, festigt das diese Partnerschaft.

Gegenseitiges Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung sind aber nicht möglich, wenn nicht beide Partner das Ja zu sich selbst leben.

Die Zelle und ihre Membran

Wie viele erforderliche Grenzensetzungen empfinden wir tief in uns als etwas Negatives? Ein Grund dafür kann in der Erziehung durch die Eltern liegen, wie eingangs angesprochen. Dieses schlechte Gewissen den Eltern gegenüber, wenn wir auf unser Ich bestehen wollen, kann nicht nur die Pubertät zu einem Problem werden lassen, sondern das gesamte Leben überschatten.

Die Natur liefert uns jedoch ein perfektes Beispiel für die Notwendigkeit und für die Richtigkeit solcher Grenzen. Es ist dies jede Zelle unseres Körpers. Sie ist, wie auch der Mensch, ein Holon [*], ein abgeschlossenes Ganzes, welches jedoch nur in einem anderen größeren Ganzen existieren kann.

Die Zelle ist ein abgeschlossenes Ganzes, welches durch die Zellmembran begrenzt wird. Doch lebt die Zelle in einem größeren Ganzen, z. B. in der Leber. Die Leber ist wiederum ein Holon, denn obwohl ein Ganzes, so überlebt sie nur in einem größeren Ganzen, nämlich dem Menschen.

So ist auch der Mensch ein Holon, denn obwohl er ein individuelles Ganzes ist, so lebt auch er in ein größeres Ganzes eingebettet z. B. Familie, Partnerschaft, Sippe, Klan, Volk bis hin zur Menschheit. Auch in das, was wir das Göttliche bezeichnen, wenn wir an unsere Spiritualität denken.

Was geschieht mit einer Zelle, wenn die Zellmembran zerstört wird, wenn sie neben den Nährstoffen auch etwas durchlässt, was ihr schadet? Und was geschieht mit einem Menschen, wenn er seine Grenzen nicht wahrt und Schädliches in sich hineinlässt?


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